Klaus Ahlfänger
Autorennacht
Und was, wenn ich nur Zehnter werde?
Zunächst war die Freude riesengroß, als ich erfuhr, dass es mein Beitrag in die „Top Ten“ eines renommierten
Literaturwettbewerbs geschafft hatte. Doch dann las ich zu meinem Entsetzen, dass die zehn Auserwählten
„ihre Werke“ einem fachkundigen Publikum präsentieren sollten, um danach zu erfahren, wer sich denn
letztendlich den diesjährigen Preis „erschrieben“ hatte.
Die Vorstellung, dass ich vor einem großen Auditorium meinen Text ins Mikrofon sprechen muss, raubt mir seit
Tagen den Schlaf. Wahre Schreckensszenarien spielen sich in meinem Inneren ab. Wenn ich vor mehr als fünf
Leuten reden muss, bin ich stets derart verschüchtert, dass mir mein eigener Name nur schwerlich einfällt.
Wenn dann am 16.11.2013 gar hundert Menschen an meinen Lippen hängen, wird mein Bühnenauftritt wohl auf
ungewollte Situationskomik hinauslaufen. Mit Sicherheit werde ich das obligatorische Glas Wasser umkippen,
mich im Mikrofonkabel verheddern und beim Hinsetzen erkennen, dass man seine Lesebrille niemals auf einem
Stuhl ablegen sollte. Die zerborstene Brille und mein durch das Wasserglas-Malheur aufgeweichte Manuskript,
machen mein Gestammel beim Vorlesen meines Textes nur halbwegs entschuldbar – ursächlicher ist meine
ausgeprägte Bühnenphobie.
Bestenfalls wird man meinen seltsamen Auftritt dem Rahmenprogramm zuordnen und in mir eine Art
Pausenclown im Jerry-Lewis-Stil sehen. Doch Spaß beiseite: Ich habe wirklich einen Heidenbammel vor dieser
Veranstaltung und möchte am liebsten kneifen. Meine Frau darf mich auf keinen Fall an diesem Abend
begleiten und auch der Verwandtschaft – bis einschließlich viertem Grad - habe ich strikt untersagt, sich unter
das Publikum zu mogeln. Entdecke ich nur ein mir vertrautes Gesicht in der Gästeschar, werde ich meinen
Fluchtreflex nicht mehr kontrollieren können.
Bei dieser Veranstaltung wird neben dem Juroren-Preis auch ein Publikumspreis vergeben. Den letzteren
werde ich wohl kaum gewinnen, weil mein gesamter Bekannten- und Verwandtenkreis wegen von mir
angeordnetes Fernbleiben nicht für mich voten kann.
Die Preisverleihung findet in einem sehr schönen Ambiente statt. Die vorgetragenen Texte – also auch meiner –
erscheinen dann als kleines Büchlein. Noch kann ich mich der Illusion hingeben, dass ich die „numero uno“ sein
werde – aber was ist, wenn ich Achter oder gar nur Zehnter werden sollte???
Doch nun wieder ernsthaft: Ich habe mich riesig über die Einladung gefreut – egal auf welcher Platzierung ich
lande – ich werde auf das Ergebnis stolz sein.