Klaus Ahlfänger
Diesel
Schreck an der Tankstelle - Preis für Müller deutlich gestiegen
Gar zu verführerisch wirkte die Blondine auf dem Werbeplakat für pasteurisierte Milch,
so dass ich beinahe gegen die Litfaß-Säule gefahren wäre. Liebend gern würde ich sie in
ein feines Restaurant einladen, um dort mit ihr Carpaccio und Pfirsich Melba zu essen.
Es muss ja nicht jeden Abend Bismarck-Hering oder ein Sandwich sein.
Früher aß ich gerne Eingewecktes und meine Mutter achtete stets darauf, dass die für
die Herstellung benötigte Temperatur von 100 Grad Celsius strikt eingehalten wurde Das
war in einer Zeit, als man hier noch keine Pizza Margherita bestellen konnte und Bœuf
Stroganoff nur den reichen Familien vorbehalten war. Während ich dies schreibe, kärchert mein Nachbar zum wiederholten
Male die Waschbeton-Platten seiner Garagen-Auffahrt. Ich sollte mich eigentlich über den Lärm beschwerden, doch dann
würde er wahrscheinlich seinen Dobermann auf mich hetzen oder mich gar mit seinem Colt bedrohen, den er in seiner
umfangreichen Waffensammlung hat.
Überhaupt ist dieser Hundebesitzer ein ständiges Ärgernis. Zu früher Stunde lässt er seinen Mercedes-Benz minutenlang
warmlaufen, so dass danach die ganze Gegend nach Diesel riecht. Obwohl er neuerdings von Hartz 4 lebt, brennt bei ihm
Tag und Nacht das Licht und ich möchte nicht wissen, wie viel Kilowatt er im Jahr unnötig verbraucht.
Da lob ich mir meinen Nachbarn zur Linken. Im Sommer verbringt er die meiste Zeit in seinem Schrebergarten, so dass ich
mir nicht ständig anhören muss, dass während der Französischen Revolution einige seiner Vorfahren auf der Guillotine
geendet sind. Wesentlich bequemer hingegen scheint seine Recamiere zu sein, auf der er seine Fernsehabende verbringt,
obwohl sie überhaupt nicht zu der eher modernen Einrichtung seines Wohnzimmers passt. Und dies nur nebenbei: Sein
angeblich wertvolles Tafelbesteck ist auch nicht echt, es wurde lediglich mit einer Silberschicht galvanisiert. Er sei
Buchbinder gewesen, was ich ihm jedoch nicht abnehme. Schließlich konnte er sich nichts unter dem Fachbegriff
Lumbecken vorstellen.
Die Gespräche in meinem Freundeskreis sind stets öde. Mal wird über die Vor- und Nachteile des Otto-Motors gegenüber
dem Wankel-Motor gestritten – dann wieder wird dringend davon abgeraten, einen Ford oder Opel zu kaufen. Es sind eben
stets die üblichen Männerthemen, die keinen Platz für Gespräche über Alterssicherung in Form der Riester-Rente lassen.
Und immer wieder werden die dieselben Geschichten aus der Jugendzeit aufgetischt, als man noch mit Leichtigkeit den
doppelten Rittberger sprang und auch den Auerbach-Salto vom 10-m-Turm aus wagte
Fast panisch werde ich, wenn mir wieder einmal die Mega-Hertz-Frequenz meines Lieblingssenders entfallen ist. Macht sich
bei mir etwa eine leichte Alzheimer-Tendenz bemerkbar? Auf jeden Fall sichere ich mich ab, indem ich alle wichtigen Dinge
in meinen Taschenkalender mit Leporello-Faltung eintrage. Auch scheine ich mich charakterlich verändert zu haben, musste
ich mir doch von einem guten Freund vorwerfen lassen, dass ich neuerdings häufig merkele „Gestern warst du dagegen,
heute bist du plötzlich auf einmal dafür – und morgen wird es wahrscheinlich wieder umgekehrt sein". Sein Vorwurf schlug mir
auf den Magen, hinzu kam noch, dass ich am Vortag Schillerlocken und Unmengen von Mozartkugeln in mich hineingestopft
hatte. Nur gut, dass wir einen Underberg im Haus haben. Mit Ramazzotti oder gar Doornkaat kann man mich hingegen
jagen.
Meine Geschichte mag auf dem ersten Blick wirr und holprig wirken, doch ging es mir in erster Linie darum, dass wir uns bei
dem Gebrauch der Begriffe bewusst machen, welche Leistungen deren Namensgeber für die Menschheit erbracht haben. Als
gutes Beispiel mag hier nicht unbedingt Karl Friedrich Louis Dobermann gelten, der diese Hunderasse speziell gezüchtet
hatte, weil sein Job als Steuereintreiber nicht ganz ungefährlich war. Amüsant finde ich es, wenn man seinen eigenen
Familiennamen gegen den des eigentlichen Erfinders austauscht. Hört sich irgendwie knuffig an, wenn es dann in der
Sportübertragung beim Eislaufen heißen würde. „Hoffen wir, dass er auch den doppelten Leutheusser-Schnarrenberger sicher
springt“
Kleine Hilfestellung:
Carpaccio wurde nach dem italienischen Maler Vittore Carpaccio benannt, der u.a. wegen seiner leuchtenden Rot-Töne
bekannt wurde
Einwecken = Johann Carl Weck (auf vielen Gläsern steht auch noch der Name Weck)
Guillotine = Joseph-Ignace Guillotin
Emil Lumbeck
Luigi Galvani
Anders Celsius
Margherita Maria Teresa Giovanna di Savoia (Pizza)
© Klaus Ahlfänger