Klaus Ahlfänger
Hose
Pfundskerl mit Dehnbundhose
Probieren Sie's doch mal am Wochenende - am besten zum Abschluß eines
Tages, den Sie sitzend bei den Schwiegereltern verbracht hatten, denen es
erneut gelungen war, eine geschlossene Nahrungskette zu erstellen, indem sie
als Bindeglied zwischen Mittag- und Abendessen eine reichhaltige Kaffee-Tafel
mit allerlei selbstgebackenen Kuchen und Plätzchen einsetzten.
Doch zurück zum Ausgangspunkt. Sie befinden sich also wieder in Ihrem
Wohnzimmer, haben auf dem Sofa eine einigermaßen verträgliche Sitzposition
gefunden und nippen an einem Verdauungs-Schnaps. Wandern Sie dann mit
elektronischer Hilfe durch die nächtliche Fernsehlandschaft und Sie werden mit
großer Wahrscheinlichkeit eine Talk-Show finden, in der ein prominenter Künstler
sich zu seinem bildschirmsprengendem Leibesumfang bekennt, was auch weiter
nicht schlimm wäre, wenn er darüber hinaus nicht das hohe Lied des Dickseins singen würde. Mit fast schon
missionarischem Eifer will er uns davon überzeugen, dass er seine Fettleibigkeit nicht als Beeinträchtigung empfände, ganz
im Gegenteil, er möchte kein Pfund an sich missen, denn schließlich drückten sich in seiner Statur unbändige Sinnesfreuden
aus, die ihm seine künstlerische Kreativität erst möglich machten.
Dann versteigt er sich noch zu der Behauptung, dass dicke Männer ausgeglichener und glücklicher als Normalgewichtige
seien, die er zwischendurch immer wieder als dünne Heringe bezeichnet. Unvermeidlich ist auch sein Spruch: "Dicke sind die
besseren Ehemänner", und nach einer Kunstpause fügt er augenzwinkernd hinzu: "in jeder Beziehung".
Während dieses Gebirge aus Fleisch nicht müde wird, die Vorzüge seiner ungezügelten Lebensweise und deren sichtbaren
Auswirkungen zu preisen, drängen sich bei dem Betrachter eine Reihe von Fragen auf. "Hatte man seinetwegen den Eingang
zum Studio erweitern müssen? Müsste ein derartiges Fett-Massiv beim Aufenthalt in der freien Natur nicht kartographisch
berücksichtigt werden? Gibt es für ihn in den Frachträumen der Linien-Flugzeuge auch Bord-Service"? Andere Überlegungen
wollen wir aus Gründen der Ästhetik hier an dieser Stelle nicht weiter ausbreiten
Nun schwafelt dieser Lebenskünstler, der mit seinem wallenden Gewand ein wenig an das seinerzeit von Christo verhüllte
Berliner Reichstagsgebäude erinnert, über die Vorzüge der mediterranen Küche. Seine Augen leuchten stolz, wenn er über
die richtige Zubereitung von Saltimbocca, Lasagne oder Minestrone berichtet. Auch weiß er uns Insider-Tips für die besten
Bezugsquellen von Parma- und San-Daniele-Schinken zu nennen. Aus seinem Gerede wird stets deutlicher, dass er Distanz
halten möchte zu den Dicken, die sich ihre Leibesfülle mit ordinärer Hausmannskost wie Reiberdatschi oder gar
Schweinshaxe angefressen haben. Als mache es in der Konsequenz einen Unterschied, ob man von einer umstürzenden
Beethoven-Büste oder einem Dachziegel erschlagen wird - tot ist tot und fett ist fett!
Uns allen ist nicht verborgen geblieben, dass dieser Fleischberg seine offensichtliche Not als erstrebenswerte Tugend
darstellen will, was sich auch durch den Hinweis auf sein gerade in einer Ratgeber-Reihe erschienenem Taschen-Buch
bestätigt, das den Titel trägt "Wie werde ich dick - und wie kann ich es bleiben"?
Natürlich werden wir seine Anleitung nicht kaufen, wissen wir doch fast alle aus leidvoller Erfahrung, wie unerträglich wir für
unsere Familienangehörigen und Freunde sind, wenn anfänglich sanftes Zwicken und Zwacken des Hosengürtels auf
beginnende körperliche Veränderungen hinweisen. Hier hätten wir noch die Möglichkeit, diese freundschaftliche Warnung
dankbar anzunehmen, doch stattdessen reagieren wir gereizt und fummeln an der Alarmanlage herum, indem wir die
Einstellung unseres Gürtels den umfangreicher gewordenen Erfordernissen angleichen. Bei mir geht dies ohnehin nicht mehr
– das letzte Loch ist erreicht. In der nächsten Regenpause werde ich mir einen längeren Gürtel besorgen – oder besser – als
längerfristigere Lösung – eine Stretchhose mit Elastikbund..
© Klaus Ahlfänger