Klaus Ahlfänger
Sie kam aus Hrvatska
Die weite Reise hatte deutliche Spuren hinterlassen. Annähernd zehn Tage musste sie in
qualvoller Enge und völliger Dunkelheit ausharren und besonders grob ging man mit ihr um,
wenn wieder einmal das Beförderungsmittel wechselte. Natürlich sollte man für einen Preis von
4 Kuna und 60 Lipa nicht die Annehmlichkeiten einer Luxusreise erwarten, doch bedurfte es
schon einer robusten Leidensfähigkeit, eine Strecke von 1200 Kilometern ausschließlich in
muffigen LKW- und Bahnfrachträumen durchzustehen.
Am Bestimmungsort angekommen, konnte sie nur kurz die lang entbehrte frische Luft
genießen, denn nun ging es auf einem quittegelben Fahrrad zum eigentlichen Ziel der
anstrengenden Reise. Der Empfang dort war eine einzige Enttäuschung. Urplötzlich fand sie
sich in einem kleinen Blechkasten wieder, in dem es bedrohlich eng wurde, weil von außen her
ständig irgendwelcher Werbemüll hineinflatterte.
Dennoch fiel mir die bunte Urlaubskarte beim Öffnen des Briefkastens sofort ins Auge. In den letzten Jahren hatten mich Freunde
und Bekannte zunehmend mit sterilen elektronischen Urlaubsgrüßen abgespeist, die ich unmittelbar nach Erhalt emotionslos per
Maus-Klick entsorgte. Die Freude über diesen Gruß zum Anfassen und Aufbewahren war hingegen riesengroß – hatte sich doch
tatsächlich jemand für mich die Mühe gemacht, sich vom Strandlaken zu erheben, um in einem nur fußläufig zu erreichenden zwei
Kilometer entfernten Kiosk eine schöne Ansichtskarte auszusuchen .Selbstverständlich musste diese auch noch mit einem
witzigen informativen Text versehen werden, wobei das den Händen anhaftende Sonnenöl nicht gerade hilfreich war. Jetzt noch
schnell die Briefmarke draufgepappt, um dann anschließend – in der Landessprache radebrechend – den Weg nach dem
nächstgelegenen Postkasten zu erfragen..
Sicherlich stelle ich mir in meiner Phantasie den vermeintlichen Ablauf ein wenig naiv vor, doch hatte mich der papierne Gruß aus
der Republica Hrvatska sehr berührt, erinnerte er mich doch an Zeiten, in denen Kartenschreiben aus dem Urlaub sozusagen ein
„gesellschaftliches Muss“ war, es sei denn, man wollte es sich mit seiner Erbtante verderben. Während der Sommermonate trafen
nahezu täglich Urlaubskarten ein, von denen einige derart kitschig waren, dass man Mühe hatte, sich mit einer ähnlichen
Geschmacksverirrung zu revanchieren.. Grundsätzlich strahlte früher während des gesamten Urlaubs die Sonne am immerblauen
Himmel – schließlich gab es damals noch kein Internet, mit dem man die Ansichtskarten-Lügen hätte leicht entlarven können
Erstaunt war ich, dass Urlaubspost nach wie vor sehr lange unterwegs ist. Zehn Tage von Kroatien
(offiziell Republica Hrvatska ) nach Herten sind wohl auch heute noch Standard – eigentlich unglaublich.
So nimmt es auch nicht wunder, dass die Ansichtskarte ein wenig derangiert bei mir anlangte. Vorläufig
liegt sie auf meinem Schreibtisch und ich schaue mir sie oft und gerne an. Endgültig werde ich sie in
meiner „Erinnerungskiste“ aufbewahren, also dort, wo sich sämtliche Urlaubskarten aus
zurückliegenden Zeiten befinden. Manche trafen rotweinbefleckt hier ein und einige - vielleicht bilde ich
mir das auch nur ein – verströmen auch noch nach Jahrzehnten den Duft von Slivovic, den man wohl
seinerzeit zu später Stunde versehentlich darüber verschüttet hatte.
Ich liebe den Geruch der handgeschriebenen Urlaubskarten – die neumodischen elektronischen
Urlaubsgrüße „stinken“ mir hingegen.
Hrvatska
© Klaus Ahlfänger