Klaus Ahlfänger
Bilderflut
Hilfe, ich werde von der mir selbst verursachten Bilderflut förmlich erdrückt. Kaum drei
Tage von zu Hause weg und schon beherbergt mein Rechner weitere 938 Fotos, die
teilweise einander derart ähneln, dass selbst Freunde der „Finde-die-zehn-
Unterschiede-Bilder-Rätsel“ Schwierigkeiten hätten, die minimalen Abweichungen zu
erkennen. Mit fast pathologischem Eifer geistere ich während unserer Urlaube durch
die Gegend und fotografiere bis die Speicherkarte qualmt.
Die Ursache für meine Fotomanie mag höchstwahrscheinlich daher rühren, dass ich
aus einer Zeit stamme, in der 36 Bilder als Urlaubsmitbringsel die Norm waren. Genau
diese Anzahl passte auf einen Rollfilm und die Tradition verlangte es, dass man noch
am Tage der Heimkehr zum Fotofachgeschäft eilte, um möglichst zeitnah in den Besitz der fertigen Bilder zu gelangen.
Und wie der Teufel es wollte, fiel es jeweils erst am Tag der Abreise auf, dass es auf dem Film noch freie Kapazität gab.
Also musste irgendein Kellner als Motiv herhalten oder ein Familienmitglied wurde zwangsverpflichtet, sich vor eine
mickrige Palme zu stellen.
Dank moderner Technik können die Urlauber heutzutage jederzeit Kontakt zu den Daheimgebliebenen aufnehmen, was
jedoch Fluch und Segen zugleich sein kann. Schlangestehen an einer Telefonzelle gehört schon seit langem der
Vergangenheit an. Oft dauerte es eine halbe Stunde bis man es endlich in die muffige Kabine schaffte , um den Lieben in
der Heimat stolz zu erzählen, dass vor drei Jahren die Großtante von Udo Jürgens im Nachbarhotel gewohnt hatte. Mit der
Schilderung der Wetterverhältnisse nahm man es aus Prestigegründen nicht so genau und schwärmte von ständig blauem
Himmel, obwohl der Regen unüberhörbar auf das blecherne Dach der Telefonzelle trommelte. Und die Gespräche
schlossen stets mit der Aufforderung:“Sag noch mal was, wir haben noch für 30 Pfennig Sprechzeit!“
Ein weiteres Problem bei meinen damaligen Urlauben bestand in der Auswahl der Ansichtskarten, schließlich sollten sie ja
beeindruckend sein. So lief ich oft von einem Andenkenladen zum anderen, um dort auf den jeweiligen Geschmack der
Adressaten abgestimmte Exemplare zu finden. Bei der Textfindung tat ich mich stets schwer, weil mir die kleine
Schreibfläche nur wenig Raum für mein Imponiergehabe ließ. Wohl wissend, dass mir keinerlei Gefahr drohte, endeten
meine Urlaubsgrüße stets mit dem Satz: „Schade, dass ihr nicht hier sein könnt!“
Heutzutage bastele ich unsere Ansichtskarten per Photoshop auf meinem Notebook, bin also nicht wehrlos den
geschmacklichen Verirrungen der Karten-Gestalter ausgeliefert. Ob auf elektronischem Weg oder per Schneckenpost – ich
versende Urlaubsgrüße nur deswegen, weil ich bei den Daheimgebliebenen Neid erwecken möchte – so wie auch jetzt.
Nur schade, dass Sie nicht hier sein können.
Schade, dass Sie nicht hier sein können......