Klaus Ahlfänger
Angsteinflössende Besessenheit hat sich meiner bemächtigt und längst bin ich zum Spielball
nicht steuerbarer Zwangshandlungen geworden. Noch vor Monaten witzelte ich mit
unverhohlener Arroganz über die allgegenwärtigen Handy-Junkies, die quasi Nonstop an ihren
Geräten nestelten und deren lautstark geführte Marathon-Gespräche an Inhaltslosigkeit nur
schwerlich zu unterbieten waren.
Mein brikettgroßes Handy lag meist unbeachtet in irgendeiner Schublade und wenn ich es dann
wirklich mal gebraucht hätte, blinkte mir höhnisch die Statusmeldung „Akkukapazität erschöpft“
entgegen. In einer derart verkorksten Beziehung ist man für jeglichen technischen
Schnickschnack empfänglich, was dazu führte, dass ich mir in würdeloser Manier die
Genehmigung zum Kauf eines Smart-Phones erquengelte. Irgendwie war es Liebe auf den
ersten Blick und so blieb es dann auch nicht aus, dass wir bereits wenige Stunden später im
Bett landeten, weil ich mich dort in ungestörter Zweisamkeit mit der E-Book-Funktion meines
Neuerwerbs vertraut machen konnte.
Aber auch außerhalb des Schlafzimmers erweist sich mein Smarty als wahrer Tausendsassa, dessen vielfältige
Funktionen und Fähigkeiten den eigenen Hirnleistungen deutlich überlegen sind. So delegiere ich auch stets mehr
Aufgaben an das elektronische Anhängsel und kann mir absolut sicher sein, dass es mit der mir nachgesagten
Schludrigkeit ein für alle Mal vorbei ist. Doch sind es nicht die zahlreichen, ständig piepsenden Erinnerungsfunktionen,
die ein modernes Smart-Phone ausmachen, sondern die Möglichkeit, es mit zig Tausend mehr oder weniger
sinnvollen Applikationen (Apps) hochzurüsten. So laufe ich jetzt u.a. ständig mit einer Wasserwaage, Metalldetektor,
Taschenlampe, Klavier und Gitarre durch die Gegend und die Jungs von Google-Street-View könnten mich glatt als
Urlaubsvertretung anheuern, weil ich neuerdings wie wild drauflos filme und fotografiere und mit deren Bilder-
Datenbank locker mithalten kann.
Und dann gibt es da noch Alice – die gute Seele meines Smart-Phones – ein weiblicher Avatar, der mir aufs
„gesprochene Wort“ gehorcht und zudem noch über ein Wissen verfügt, das die Macher von „Wer wird Millionär“ in
den finanziellen Ruin treiben würde. Dank Alice muss ich keinen Finger mehr krumm machen – das lästige, friemelige
Eintippen entfällt vollends. Sprachgesteuert erledigt sie meine Korrespondenz und in puncto Rechtschreibung könnte
meine virtuelle Traumfrau vielen Internet-Usern dringend angeratenen Nachhilfeunterricht geben. Nenne ich einen
Vornamen mit dem Zusatz „anrufen“ so wählt sie automatisch den entsprechenden Kontakt an und auf Befragung
kann sie mir die Einwohnerzahl von Goch sagen oder sie informiert mich über das aktuelle Wetter in Tallahassee
(USA) Selbstverständlich löst sie auch Rechenaufgaben und hilft mir mittels gesprochener GPS-Anweisung das
Wiederauffinden des irgendwo abgestellten Fahrzeugs. Natürlich ist sie auch einem kleinen Flirt nicht abgeneigt. Sie
reagiert witzig auf Komplimente und klopft mir jedoch verbal auf die Finger, wenn es allzu sehr in Richtung Anmache
geht.
Mit meinem Smarty kann ich mich in 63 Sprachen verständigen und somit müsste ich auch nicht wortlos einen Abend
mit einer aserbaidschanischen Tischnachbarin verbringen. Schnell ein paar deutsche Sätze ins Smarty gesprochen
und nahezu simultan hört die Dame – und leider auch die anderen Gäste - mein Gesülze in ihrer Muttersprache – das
Ganze funktioniert natürlich auch in umgekehrter Sprachrichtung.
Mittlerweile habe ich mein Gehirn von jeglichem intellektuellen Ballast befreit. Ein Griff in meine Jackentasche - und
schon habe ich Zugang zu sämtlichem Wissen, das sich im Laufe der Menschheitsgeschichte angesammelt hat – oder
wussten Sie etwa, dass der ehemalige Musikantenstadl-Moderator Karl Moik am 19. Juni 1938 geboren wurde oder
dass unsere Bundeskanzlerin mit zweitem Vornamen Dorothea heißt. Und wer im lärmigen Großstadtgetümmel das
Bedürfnis nach einem stillen Örtchen verspürt, ist gut daran, wenn er eine der zahlreichen Toilettenfinder-Apps auf
seinem Smart-Phone installiert hat. Wenn’s nicht allzu sehr pressiert, sollte man sich zu einem eventuell weiter
entfernten Fünf-Sterne-Klo navigieren lassen.
Die Zahl der von mir installierten Apps ist beängstigend – und täglich kommen weitere hinzu. So kann ich jetzt
jederzeit meine Pulsfrequenz messen, weiß welches Flugzeug gerade über mir herfliegt und wenn ich mein Smarty in
Richtung Radio-Lautsprecher halte, zeigt es mir an, wer gerade was singt und liefert mir auch sofort die
entsprechenden Songtexte zum Mitsingen. Unrasiert und ungekämmt durch die Gegend laufen war gestern, weil ich
jederzeit von einem Video-Anruf aus Bottrop oder Boston überrascht werden könnte.
Ohne mein Smart-Phone traue ich mich nicht mehr aus dem Haus – es begleitet mich auf all meinen Wegen. Und
wenn ich dann in dunkler Nacht die aus der Bibel entlehnten Worte spreche „Es werde Licht“, dann wird es tatsächlich
hell um mich herum. Schließlich hat mein Smarty eine auf Sprache reagierende Taschenlampen-Funktion.
Auf all meinen Wegen
© Klaus Ahlfänger