Klaus Ahlfänger
Feuchtgebiete
Als ich ihn bat, doch endlich mit der ständigen Spuckerei aufzuhören, beließ er es
erfreulicherweise bei der szenetypischen Frage „Hast Du ein Problem damit, Alter?“
Ebenso gut hätte mir die Einforderung dieser Selbstverständlichkeit einen Satz
heißer Ohren einbringen können.
Die fünf Minuten Wartezeit an einer überdachten Bushaltestelle ließen mich
berechtigt zweifeln, ob sich menschliche Evolution wirklich im kollektiven Gleichschritt
vollziehe. Eine Gruppe Jugendlicher hatte diesen eigentlich zweckgebundenen
Unterstand für sich okkupiert, um sich dort in den nichtolympischen Wettbewerben
Spucken, Rülpsen und Flatulieren zu messen. Körpergeräusche statt wirklicher
Kommunikation – und immer wieder wurde exzessiv gespuckt, so dass sich der
Haltestellen-Bereich zusehends in ein nicht kartografiertes Feuchtgebiet verwandelte.
Die mit antizipierter Schadenfreude vermengte Sorge, dass einer der Dauerspeier
wegen Dehydrierung kollabierte, war eher unbegründet, deutete doch der unter der
Sitzgelegenheit abgestellte halbvolle Bierkasten darauf hin, dass man bemüht war, den enormen Flüssigkeitsverlust
auszugleichen.
Und als ich dann auf glibbrigem Boden sehnlichst den rettenden Bus erwartete, hätte ich in Dschungelcamp-Manier lauthals
schreien mögen: „Holt mich hier raus!!!“
Feuchtgebiete
© Klaus Ahlfänger