Klaus Ahlfänger
Halde
Schön, dass es sie gibt!
Sie sei nicht gut für mich, warnten mich meine Freunde, und ich
solle mich besser von ihr fernhalten. Doch all diese
wohlmeinenden Ratschläge bringen mich nicht davon ab, sie
auch weiterhin zu besuchen. Schließlich ist sie im Laufe der
Zeit zu einer Schönheit herangewachsen, der allerdings ein
gewisser Hang zur Verschwendung nachgesagt wird.
Noch vor wenigen Jahren hatte sie kaum Wert auf ihr Äußeres
gelegt. Zudem war sie in der Nachbarschaft nicht sonderlich
gelitten, weil ihretwegen Männer in großen Autos ständig hin-
und herfuhren, oftmals bis in die späten Abendstunden hinein.
Erst als die Möglichkeit bestand, sie auch auf dem
Schienenweg zu erreichen, wurde es stiller um sie herum, doch
verzieh man es ihr nie, dass sie einst zahlreiche Menschen aus
ihrem angestammten Wohnumfeld vertrieben hatte.
Auch heute drängt es mich wieder zur Halde Hoheward hin, denn draußen herrschen frühlingshafte Temperaturen
und der wolkenlose Himmel ermuntert mich, den Besuch mit einer kleinen Radtour zu verbinden. Ohne jegliche
Anstrengung geht es hinab in den Hertener Süden, und nach einer guten Viertelstunde habe ich mein Ziel erreicht.
Doch die eigentliche Herausforderung steht noch an, denn es gilt, ca. 100 Höhenmeter (152,5 m ü. NN) zu
überwinden. Bereits nach der ersten Spitzkehre wird mir bewusst, dass die Siebengang-Schaltung nicht ausreicht,
meine körperlichen Defizite zu kompensieren. Ich falle förmlich vom Rad und schiebe es mühevoll nach oben. Auf
den so genannten Aussichtsbalkonen lege ich Pausen ein und genieße es, dass hier die Alltagsgeräusche kaum
noch wahrnehmbar sind. Die Szenerie unter mir gleicht nun einer Spielzeuglandschaft, in der sich Menschen und
Autos nahezu zeitlupenartig bewegen.
Wenige Meter vor dem Erreichen des Gipfelplateaus steige ich noch mal aufs Rad, um den dort Anwesenden eine
lückenlose Bergfahrt vorzugaukeln. Oben angekommen, blendet mich der 8,50 m hohe Edelstahl-Obelisk, welcher
der 3000 Quadratmeter großen Horizontal-Sonnenuhr als Zeiger dient. Das hell gepflasterte „Zifferblatt" hat einen
Durchmesser von 62 Metern und wird von 20 cm breiten Bahnen aus dunklerem Material durchzogen. Zur
Erläuterung der Funktionsweise haben die Erbauer zahlreiche Metallplatten in den Boden eingelassen.
Bei strahlendem Sonnenschein ist die Zahl der Gipfelstürmer besonders groß. Sie ruhen sich auf den Metallbänken
aus, die tribünenartig am Rand dieser Uhr angeordnet sind. Schnell kommt man ins Gespräch und erfährt
sozusagen aus erster Hand, wie es hier ursprünglich ausgesehen hatte und welchen Belästigungen die Anwohner
damals ausgesetzt waren.
Bis zu 400 Lastwagen ratterten einst täglich über die Hertener Straßen, um den Zechen-Abraum zu transportieren.
Abschiedstränen flossen, als 1986 die Hoheward-Siedler den Aufschüttungen weichen mussten und zu befürchten
stand, dass das Gemeinschaftsgefühl bei dieser Zwangsumsiedlung auf der Strecke bleiben könnte. Kontrovers sind
die Meinungen, wenn das Gespräch auf die allzu nahe Müllverbrennungs-Anlage kommt.. Ist deren weißer Rauch
wirklich unbedenklich oder sollte ich die Warnungen meiner Freunde vor eventuellen gesundheitlichen Gefahren
doch ernster nehmen?
Einen älteren Mann, der kurz zuvor noch mit Bitterkeit von dem Verlust seiner Heimstatt in der Hoheward-Siedlung
erzählt hatte, höre ich leise sagen: „ Trotz allem, es ist schön, dass es sie gibt“
Und er meint sicherlich meine Halde, der ich auch künftig treu sein werde.