Klaus Ahlfänger
Kochen
Gehsse inne Stadt, watt macht dich da satt
Als Herbert Grönemeyer vor ca. 30 Jahren erstmals seine Liebeserklärung an die
Currywurst sang, wurde in vielen Familien noch regelmäßig gekocht und – das war
wichtig – zu festen Zeiten gemeinsam gegessen. Koch- und Backrezepte vererbten
sich innerhalb der Familie, ohne dass hiervon schriftliche Aufzeichnungen
existierten. Niemand ließ sich auf kulinarische Wagnisse ein, denn es ging in erster
Linie darum, die hungrigen Mäuler seiner Lieben zu stopfen. Quengelnde Kinder
wurden mit den Worten zurechtgewiesen „Es wird gegessen was auf den Tisch
kommt und außerdem ist Spinat sehr gesund“
Die Älteren unter uns werden sich mit einem Schmunzeln an Clemens Wilmenrod
erinnern, der 1953 als erster Fernsehkoch auf dem Schwarz/Weiß-Bildschirm zu
sehen war. Bis 1964 kochte er für „eilige Feinschmecker“, wobei stets live gesendet
wurde. Seine Rezepte hatten in der Regel phantasievolle Namen und die erfahrene
Hausfrau merkte bereits nach wenigen Minuten, dass sich hinter dem vollmundig
angekündigten „venezianischem Weihnachtsschmaus“ nichts anderes als ein
paniertes Schnitzel verbarg.
Getrieben von Terminen und Verpflichtungen, isst der moderne Mensch irgendwo irgendetwas, wenn es die Situation gerade
zeitlich erlaubt – und meistens sogar alleine. Die sogenannten situativen Einzelesser sind auf dem Vormarsch, Und selbst dann,
wenn die Familie ausnahmsweise einmal gemeinsam am Tisch sitzt, bedeutet das noch lange nicht, dass alle das Gleiche essen.
Fischstäbchen für den Jüngsten, Pizza für die Tochter und Eisbein mit Sauerkraut für die Eltern. Das Märchen vom „Tischlein-
deck-dich“ ist wahr geworden. Convenience-Food aus dem Kühlregalen und Pizza-Boten sind verlockende Alternativen zu
althergebrachten Kochgewohntheiten.
Schön zu wissen, dass in einigen Familien doch noch traditionell gekocht wird und sich nicht alle Hausfrauen durch die Armee
der Fernsehköche und die erschreckende Anzahl der Kochbücher verbiegen lassen. Aktuell flimmern zur Zeit 30 Kochsendungen
über die Bildschirme und wer bei Amazon zu den Themen Backen und Kochen ein passendes Buchgeschenk sucht, kann dort
unter 44685 Möglichkeiten auswählen. Die Allgegenwärtigkeit der Starköche im Fernsehen hat eher zu einer Kochmüdigkeit
geführt. Lafer hier, Lafer dort – mal im Rudel mit anderen Köchen, dann wieder solo. Während der Sendungen gibt man sich
freundschaftlich, um sich dann einige Tage später in Zeitungsartikeln wechselseitig in die Pfanne zu hauen.
Koch- und Sportsendungen sind im Ergebnis gleich. Wir lassen stellvertretend Andere für uns kochen und laufen. Und das Gute
daran ist, wir bekommen keinen Muskelkater und müssen auch hinterher nicht die Küche aufräumen. Die elementaren
Grundbedürfnisse Essen und Trinken verkommen zu einem Show-Event. Mal „eben lecker essen gehen“ reicht heutzutage nicht
aus, sondern es muss schon ein Restaurant sein, das mit kulinarischen Geschmackserlebnissen wirbt.
In viel zu enge Küchen werden neuerdings wahre Kühlschrank-Monster gezwängt, die mit nach außen gelegenen Zapfstellen für
Mineralwasser und Eiswürfeln versehen sind. Zu den Prahl-Objekten gehören auch seit einiger Zeit professionelle Espresso-
Maschinen, für die man mindestens 2000 Euro anlegen sollte, um einem Prestigeverlust vorzubeugen. Und wenn dann aus
ihnen zum Aufschäumen der Milch heiße Luft zischt, so hat das irgendwie Symbolcharakter.
Es klingelt an unserer Tür. Das wird wohl der Pizza-Bote sein, heute gibt es bei uns zwei Mal die Nummer 46, davon einmal ohne
Knoblauch. Ich muss also Schluss machen, zumal sich auch noch der Wartungsdienst für unsere Espresso-Maschine angesagt
hat.
© Klaus Ahlfänger