Klaus Ahlfänger
Lösegeld in der Innenstadt
Während sich die himmlischen Mächte mit insgesamt zehn biblischen Plagen
begnügten, fügen wir Menschen den ohnehin zahlreich vorhandenen
Ärgernissen ständig weitere hinzu. So gestaltet sich der samstägliche
Einkaufsbummel mehr und mehr zu einem Leidensweg, bei dem es in erster
Linie gilt, sich an den strategisch gut postierten Zettelverteilern und Abo-
Andrehern vorbeizumogeln . Ein Ausweichen ist jedoch nur schwerlich möglich,
weil links und rechts die Bosse der osteuropäischen Bettel-Mafia ihre häufig
stark verkrüppelten menschlichen Einnahmequellen abgelegt haben.
Nervtötend sind auch die unvermeidlichen kolumbianischen Musikanten, die mir
quasi nonstop „El condor pasa“ in die Ohren blasen. Diesen "Panikflötenspielern"
begegnet man überall in der Welt und deren Anzahl lässt vermuten, dass mittlerweile ganze Landstriche ihres
Heimatlandes leergezogen sein müssten. Die Liste der Einkaufszonen-Plagen ließe sich beliebig verlängern, jedoch –
bevor ich mich gänzlich verliere - sollte ich endlich zu meinem eigentlichen Thema kommen.
Man hört das Grölen schon von Weitem und zwar aus verschiedenen Richtungen, so dass mögliche Fluchtwege sich als
Falle erweisen könnten. Und so wurden wir auch am vergangenen Wochenende einmal mehr von einer Horde Betrunkener
umzingelt, von denen zumindest noch einer halbwegs in der Lage war, uns den Grund unserer Gefangennahme
zuzulallen. „Der heiratet morgen“, ließ er uns wissen und fuchtelt dabei mit seiner halbvollen Bierflasche in Richtung eines
glasig dreinblickenden Mannes, den man wohl mit vereinten Kräften in ein viel zu enges Ballettröckchen gezwängt hatte.
Biergeduscht und der Peinlichkeit wegen leisteten wir keinen Widerstand, als ein Gruppenmitglied mit umgeschnallten
Bauchladen auf uns zu torkelte und quasi in Endlosschleife „Heute alles nur fünf Euro“ vor sich her brabbelte. Und genau
diesen Betrag drückten wir für ein Minifläschchen Fusel ab, um uns im wahrsten Sinne des Wortes freizukaufen.
Einst fanden die sogenannten Junggesellen-Abschiedsfeiern in der nächstgelegenen Kneipe statt, wo man sich bis zum
Abwinken die Kante geben konnte und sich zudem der kurze Nachhauseweg als äußerst angebracht erwies. Jetzt
verlagert sich dieses Brauchtum in die Fußgängerzonen der Großstädte, was u.a. den Vorteil hat, dass man schon
während der Anreise vorglühen kann und als Folge hiervon den nichtalkoholisierten Bahnreisenden gehörig auf den Senkel
geht. In Münster und Düsseldorf sind an manchen Tagen bis zu fünf lärmende Gruppen auf Beutejagd, die sich zwar nicht
an Originalität überbieten, jedoch deren Dreistigkeit vermuten lässt, dass man als unbeteiligter Zuschauer gerade Zeuge
eines organisierten Raubüberfalls wurde.
Überhaupt habe ich den Verdacht, dass hier gar niemand wirklich in den Ehestand verabschiedet wird, sondern man den
jeweiligen Hauptdarsteller tags zuvor „ausgeknobelt“ hatte. Mit Jungesellen-Abschiedsfeiern kann man offensichtlich „viel
Kohle machen“. Aber, liebe Leser/Innen, würden Sie sich deswegen mit einem neckischen Tutu bekleidet in die
Fußgängerzone wagen??
Eine Hoffnung habe ich jedoch: Vielleicht sind diese lärmenden Gruppen ein wirksames Mittel gegen die innerstädtische
Taubenplage.
Lösegeld
© Klaus Ahlfänger