Klaus Ahlfänger
Oh Gott, wie ist das denn nur passiert?
Gegen Ende der Urlaubssaison ist man als Tourist für jede klitzekleine Abwechslung dankbar. Die
Sehenswürdigkeiten sind abgeklappert und auch die in der Nähe angesiedelten Outlet-Center haben
nach mehreren Besuchen ihre magnetische Anziehungskraft verloren. Da kam wohl Vielen mein
spektakulärer Sturz und mein hierdurch bedingtes dramatisch verändertes Aussehen gerade recht.
Eine Sekunde der Unaufmerksamkeit genügte, um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Im Fallen
entschied ich mich spontan für die Unversehrtheit meiner neuen Lieblingskamera, so dass der
Normalreflex – das Abfangen mit den Armen - unterblieb. Folglich landete ich ungebremst mit dem
Gesicht auf hartem italienischen Boden.
Eigentlich hätte mein Schädel puzzleartig in hundert Teile zerspringen müssen, doch wie durch ein
Wunder blieb alles unverrückt an den von der Natur vorgegebenen Stellen . Selbstverständlich gehört
zu einer Gruselszene stets Blut – und davon möglichst viel. Auch hiermit kam ich den Erwartungen der mittlerweile zahlreichen
Zuschauer weitestgehend entgegen. Aus der Menge wurde mir meterweise Küchenpapier gereicht, so dass ich die über das
ganze Gesicht verteilten Blutungen unter Kontrolle halten konnte. Die wenigen Schritte zu unserem Ferienhäuschen schaffte
ich ohne fremde Hilfe, wobei mir meine Frau zunächst den Einlass verweigerte, als ich an der Terrassentür anklopfte.
Offensichtlich erkannte sie mich nicht auf Anhieb und vermutete gar einen verfrühten Halloween-Scherz.
Anhand meines T-Shirts identifizierte sie mich letztendlich als Familienmitglied und drängte mich dann sofort ins Badezimmer
ab, wo ich in dem großen Spiegel eine Art Bestandsaufnahme machte: Zwei Beulen auf der Stirn, eine doppelt so voluminöse
Nase im Gérard-Depardieu-Format, Verletzungen am Kinn und zugeschwollene kleine Schweinsäuglein, die irgendwie an Karl
Dall erinnerten und als Zugabe schmerzten noch linke Hand und rechte Schulter.
Und immer wieder fragen mich wildfremde Menschen „Oh Gott, wie ist das denn nur passiert?" Mittlerweile kann ich den
Unfallhergang fließend in vier Sprachen herunterleiern und das Merkwürdige daran ist, dass ich mich irgendwie als Held dabei
fühle.
Sturz
© Klaus Ahlfänger