Glossenschmiede
Klaus Ahlfänger
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Ab nach Chiang Mai - Letzte Reise für Greise Vor Jahren hieß es, dass es zum guten sozialen Benehmen gehöre, wenn man mit 65 stürbe. Mittlerweile wurde das Renteneintrittsalter erhöht, so dass wir zwei Jahre Daseinsberechtigung hinzugewonnen haben. Doch danach wird es richtig zugig um uns herum, mutieren wir doch plötzlich zu einem reinen Kostenfaktor, den sich unsere Gesellschaft auf Dauer nicht leisten kann. Und immer wieder ist von Jüngeren zu hören, dass Oma und Opa die Rentenkassen plünderten und man dann im Alter selbst der Gelackmeierte sei. Wohl niemand mehr muss sich heutzutage in unserem Land vorzeitig zu Tode schuften – zudem haben Fitness-Trends, sensibleres Ernährungsbewusstsein und medizinischer Fortschritt wesentlich dazu beigetragen, dass in Diskussionen immer häufiger von einer Altenrepublik die Rede ist. Selbstverständlich sollte in diesem Zusammenhang auch der drastische Geburtenrückgang erwähnt werden. Längeres Leben geht in der Regel mit Verlust der Selbstständigkeit einher und somit ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein Verbleib in der eigenen Wohnung nicht mehr zu verantworten ist. In aller Eile wird dann ein geheimes Familientreffen anberaumt, auf dem Söhne und Töchter versuchen, sich wechselseitig die Last und Mühen der Altenpflege zuzuschieben. Doch hatte sich jeder von ihnen mit einem Vorrat an Ausreden bzw. triftigen Gründen gewappnet, so dass sich nach ergebnislosem hin und her letztendlich jemand traut, die Unterbringung in einem Altersheim zu erwägen. In den meisten Fällen reicht die Rente nicht aus, um die Heimkosten zu decken – und noch krasser wird die Finanzierungslücke, wenn wegen völliger Hilflosigkeit sündhaft teure Intensivpflege erforderlich wird. Natürlich springt hier das Sozialamt ein, das aber gleichzeitig penibel die finanziellen Verhältnisse der nahen Angehörigen durchleuchtet. Und wenn dann den Söhnen und Töchtern die Zuzahlungs-Bescheide ins Haus flattern, entwickeln sich ambivalente Gefühle bezüglich der ansonsten wünschenswerten Langlebigkeit. Da mag vielen die Idee, gebrechliche Verwandte ins Ausland zu verbringen, eine reizvolle Alternative sein. Heime in Ungarn bieten beispielsweise Einzelzimmer mit Intensivpflege für 1150 Euro monatlich an, wobei deren Ausstattung dem deutschen Standard deutlich überlegen ist. Einteilung nach Pflegestufen gibt es hier nicht. Ein Preis gilt für alle, egal wie aufwändig jemand gepflegt wird. Eigentlich perfide, wenn dann der Sohn die senile Mutter unter Druck setzt, indem er darauf hinweist, dass er im Falle ihres Einverständnisses keinerlei Zuzahlungen mehr leisten müsse. Oma und Opa sind zum Exportschlager geworden titelten einige Zeitungen und wenn vom Greisenexport die Rede ist, wird stets auf die Alters- und Pflegeheime in Thailand hingewiesen, die oftmals familiengeführt sind. Kritikern wird zynisch entgegnet, dass Demenzkranke ohnehin nicht merken, wo und von wem sie gepflegt werden. Es kann also durchaus möglich sein, dass wir unsere letzten Tage im thailändischen Chiang Mai verbringen müssen. Und was soll man einem Abschiebe-Befürworter erwidern, wenn er wie folgt argumentiert: „Ob ich meine Mutter in einem Dinslakener Heim nicht besuche oder in einem ausländischen, das ist egal.“ Noch eine Warnung zum Schluss: Wer sich allzu sehr mit diesem gesellschaftlich relevanten Thema befasst, ist hinterher wütend, traurig und ratlos. Und wer von den Lesern irgendwann nach Thailand verfrachtet wurde, sollte stets die ihm täglich zugeteilte Reisportion loben. „Arroi maak“ sagt man dort als eingeschüchterter Heimbewohner, was auf deutsch „sehr lecker“ heißt. © Klaus Ahlfänger
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